Auf der Autobahn Richtung Heimat passieren wir ein Hinweisschild zur Gedenkstätte Oradour. Wir überlegen schnell, woher wir das kennen und setzen dann den Blinker. Heute heißt es, sich der Vergangenheit zu stellen.
Oradour-sur-Glane ist Schauplatz eines Massakers der deutschen Besatzungstruppen an französischen Zivilisten während des Zweiten Weltkrieges. Am 10. Juni 1944 massakrierte eine Einheit der Waffen-SS die Bewohner des Ortes Oradour als Vergeltungsmaßnahme für Anschläge der Resistance auf die Deutschen. Die deutschen Soldaten brachten 642 Kinder, Frauen und Männer um und verbrannten anschließend das ganze Dorf. Die Geschichte von der Kirche, in der die Frauen und Kinder eingepfercht wurden, kennt vielleicht der ein oder andere. Ich gehe an dieser Stelle lieber nicht so in die schrecklichen Details.
Wer mag, kann sich unter http://www.oradour.org/visite_virtuelle/oradour.html.de oder https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Oradour weiter über Oradour informieren.
Wir parken in der Nähe der Gedenkstätte und kaufen zwei Tickets und leihen einen Audioguide auf English für die Ausstellung des Informationszentrums. Der erste Abschnitt beschreibt die Entwicklung der totalitären Gesellschaft in Deutschland und stellt den Kriegsverlauf bis 1944 dar. Ja, man kennt es aus den Büchern und aus Filmen oder anderen Gedenkstätten, aber als ich im Deutsch den ersten Absatz lese, stutze ich dann schon: “..der hetzerische Nazi Adolf Hitler..“ Diese zwei Worte direkt hintereinander habe ich noch nie so gelesen oder gehört. Passt aber! Wir haben die Chance, den Krieg aus französischer Seite nachzuvollziehen. Bilder, Zeitleisten, Erklärungen (jeweils auch in Deutsch, was hier selten ist) helfen einem dabei. Mir fällt auf, dass hier wirklich eine brutale, nichts beschönigende Wortwahl benutzt wird. Philipp muss für mich prüfen, ob das Wording dem Französischen entspricht. Tut es! Schweigend gehen wir an den Bildern vorbei und lesen viele Untertitel. Mir wird echt anders. Hier hängen die Befehle der Deutschen. Ich lese hier und da quer. Hier wird bis ins kleinste Details erklärt, wie die Menschen umgebracht werden sollen, wie der Graben zum Erschießen hergerichtet sein muss und so weiter. Ich kann gar nicht glauben, dass Menschen zu so etwas fähig sind. Wir kommen in ein kleines Kino wo wir eine Dokumentation über das Geschehene sehen. Englische Untertitel. Darüber war ich dann auch froh, als eine Horde französischer Schulkinder dazukommt, möchte ich mich nicht als Deutsche outen!
Jetzt stehen die Teenies vor der Bilderwand mit den verstümmelten Leichen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es die Kids nicht wirklich berührt. Abseits der Bilder wird lustig geschnattert und darauf geachtet, ein paar wichtige Stichpunkte in die Arbeitsblätter einzutragen. Ich gebe zu, ich fand es unpassend und taktlos. Einer der Lehrer versucht immer mal wieder die Meute einzufangen, aber na ja.
Nach dem Besuch des Informationscenters schauen wir uns das Dorf an. Das einzigartige daran ist, dass die Hinterbliebenen und die 6 Überlebenden des Massakers nach dem Krieg nicht wollten, dass das Dorf wieder aufgebaut wird. Stattdessen setzten sie sich dafür ein, dass die Ruinen zur immerwährenden Mahnung in ihrem Zustand erhalten bleiben. Wir haken uns unter und betreten die Ruinen-Stadt. Es ist still. Die Häuserfassaden lassen erahnen, wie es hier einst ausgesehen haben muss. Schilder dokumentieren, was hier einst war: Cafés, Bäcker, Schlachter, Werkstatt usw. Auch die Straßenlaternen stehen noch wie damals. Straßenbahnschienen führten einst durch den Ort. Autos rosten vor sich hin. Die Kirche hat kein Dach mehr, die Glocke liegt geschmolzen auf dem Boden. In der Kirche steht noch der Beichtstuhl, in dem sich ein Junge sich vorm Feuer der Handgranaten und der Maschinengewehre retten wollte. Die Einschusslöcher der Kugeln sind noch heute zu sehen.
Wir gehen nur durch zwei Straßen und dann wieder raus zu Elton. Philipp hat genug und auch ich muss zugeben, ich weiß nicht so recht was ich fühlen soll. Auf jeden Fall möchte ich heute keine Deutsche sein!
Um das Dorf wurde eine Mauer angelegt. Man kümmert sich hier um die Natur und die Ruinen. Das finde ich eine schöne Idee in diesem traurigen Ort. Es ist wirklich im wahrsten Sinne des Wortes eine „Geisterstadt“. 2013 haben hier die Präsidenten von Frankreich und Deutschland, F.Hollande und J.Gauck, gemeinsam der Toten gedacht.
Es ist nicht erwünscht, Bilder aus dem Informationszentrum und aus der Gedenkstätte zu machen. Daher habe ich nur ein paar von außen für Euch.